Der Leiter des Folienwerks, Thomas Olszowy, mit Azubis des eigenen Unternehmens und der ICL-IP Bitterfeld GmbH sowie der Tricat GmbH. (FOTO: A. KEHRER)BITTERFELD-WOLFEN/MZ. Die Bilanz von Janine Wiedemann kann sich sehen lassen. "Ich habe eine Bewerbung geschrieben und ein Vorstellungsgespräch geführt - dann hatte ich meinen Ausbildungsvertrag in der Tasche", sagt die 19-jährige Dessauerin, die mit dem gestern von Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld eröffneten neuen Ausbildungsjahr den Weg der Chemielaborantin beim Folienwerk Wolfen einschlagen wird.
 
Für sie und die anderen 119 Auszubildenden, die in 17 unterschiedlichen Berufen vom Bildungszentrum mitausgebildet werden, beginnt - wenn man so will - nun der Ernst des Lebens.
 
Und auch der Geschäftsführer der ICL-IP Bitterfeld GmbH, Heiko Mammen, lässt bei seiner Eröffnungsrede keinen Zweifel daran, was die 56 Mitgliedsunternehmen des Bildungszentrums von ihren Schützlingen erwarten. "Um die Facharbeiterprüfung zu bestehen, müssen sie die hoch komplexen Inhalte verinnerlichen und in den Unternehmen und in der Schule eine hohe Leistungsbereitschaft zeigen." So habe man eine "ausgezeichnete Chance", im Anschluss auch übernommen zu werden, denn der Bedarf werde immer größer.
 
Hintergrund ist auch hier der demografische Wandel, der sich bereits jetzt bei den Unternehmen vor Ort bemerkbar macht. Qualifizierte Arbeitnehmer verlassen altersbedingt die Firmen und die Schülerzahlen sinken kontinuierlich. Dem zu erwartenden Fachkräftemangel will man mit selbst ausgebildeten jungen Menschen begegnen.
 
"Doch so einfach ist das nicht", weiß auch Peter Heinemann. Er ist Ausbildungskoordinator der Zellstoff Stendal GmbH und kann schon jetzt nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzen. "Kamen im Jahr 2005 auf zehn ausgeschriebene Stellen bis zu 500 Bewerber so sind es heute keine 150 mehr." Darunter seien immer mehr "ungeeignete Kandidaten".
 
Auch der Geschäftsführer der vor Ort ansässigen Tricat GmbH, Helmut Wenige, macht dies zu schaffen. Zwar habe man mit dem 19-jährigen Max Hendel ein jungen Mann gefunden, der die Ausbildung als Chemikant beginnen und damit auch den Altersdurchschnitt des 40 Mann starken Unternehmens senken wird, doch das Unternehmen plane eine größere Investition und wolle noch in diesem Jahr bis zu acht Facharbeiter einstellen. "Die findet man aber auf dem hiesigen Arbeitsmarkt momentan nicht", sagt er.
 
Dies bestätigt auch der Leiter der Folienwerk Wolfen GmbH, Thomas Olszowy. "Bei uns sind 140 Mitarbeiter beschäftigt", sagt er. Insgesamt habe man neun Auszubildende, vier von ihnen - darunter Janine Wiedemann - beginnen jetzt ihre Lehre. "Die Ausbildung ist ein wichtiger Baustein der Fachkräftesicherung, doch wenn man im Moment an eine Unternehmensexpansion denkt, hat man schlechte Karten, denn es gibt kaum adäquate Bewerber." Was sich für Unternehmen als Problem darstellt, scheint für die Jugend ein Glücksfall. Doch Max Raeder (22) und Daniel Maye (18), die bei der auf Flammschutzmittel spezialisierten ICL-IP GmbH, als Chemiekanten ausgebildet werden, beurteilen den Fachkräftemangel für sich ganz pragmatisch. "Als Auszubildender kann man sich deswegen ja nicht ausruhen, aber der Umstand gibt - was den weiteren beruflichen Werdegang anbelangt - Rückenwind."
 
Das unterstreicht auch noch einmal die stellvertretende Geschäftsführerin des Bildungszentrums Wolfen-Bitterfeld, Renate Schiffel. "Bekanntlich können nicht alle offenen Ausbildungsplätze besetzt werden", sagt sie und macht neben dem demografischen Wandel ebenfalls die mangelnde Leistung der Bewerber dafür verantwortlich. "Darauf zu spekulieren, dass Unternehmen zukünftig auch schlechte Noten akzeptieren, wäre kühn, denn sie können sich keine Qualitätseinbußen erlauben."
 
Doch noch etwas anderes zählt. "Es hört sich immer so an, als würde jeder Auszubildende nach der Lehre die Region verlassen wollen", meint die angehende Chemielaborantin Janine Wiedemann. "Doch mit einem festen Arbeitsplatz und Perspektiven ist man auch motiviert und denkt darüber, dass man hier Fuß fassen könnte und sich damit einen festen Punkt im Leben einrichtet. Oder anders ausgerückt: Hier zu bleiben, ist eine bewusste Entscheidung."