Diese jungen Leute, die im Lehrlabor des Bildungszentrums Wolfen-Bitterfeld lernen, haben das zweite Lehrjahr absolviert. (FOTO: ANDRÉ KEHRER)BITTERFELD/KÖTHEN/MZ. Noch nie waren die Chancen für Schulabgänger, einen Ausbildungsplatz zu erhalten, so gut wie derzeit. Rein rechnerisch stehe jedem Bewerber sogar mehr als eine Ausbildungsstelle zur Verfügung, informiert die Bundesagentur für Arbeit. Doch wie ist es in den Unternehmen, Einrichtungen und Handwerksbetrieben im Landkreis Anhalt-Bitterfeld mit dem Nachwuchs bestellt, das erfragten Christine Krüger, Sylvia Czajka und Helmut Dawal.
 
"Ich habe jedes Jahr mehr Bewerber als Lehrstellen", erzählt Michael Burchert. "Das ist Luxus", weiß der Chef der gleichnamigen Bäckerei und Konditorei in Jeßnitz. Natürlich kennt er die Statistik. Bewerber für Ausbildungsstellen werden rar. Und davon seien 20 Prozent nicht vermittelbar. Warum? "Weil die schulischen Leistungen nicht stimmen oder die jungen Leute sind einfach nicht motiviert." Mit einem guten Gesellenabschluss habe man auch eine Jobgarantie im Handwerk, informiert Burchert, der im Berufsbildungsausschuss der Handwerkskammer mitarbeitet. Er selbst beschäftige derzeit sieben Lehrlinge. Drei werden in diesem Jahr auslernen. Dann, hofft er, werden neue kommen. Argumente wie spar' dir was an oder du musst doch an später denken, verfehlen ihre Wirkung bei der Jugend, die Erfahrung hat Burchert gemacht. "Wir leben in einem Sozialstaat und die Jugend bekommt keinerlei Existenzangst zu spüren", meint er. Für ihn steht fest: Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz waren nach der Wende nie so gut wie jetzt.
 
146 Schulabgänger haben sich im vergangenen Jahr im Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld beworben. In diesem Jahr, sagt die stellvertretende Leiterin der Berufsausbildungseinrichtung, Renate Schiffel, liegen bereits 160 Bewerbungen vor. Doch auf die Zahlen gibt sie derzeit nicht viel. "Wir wissen nicht, ob auch alle, die sich beworben haben, auch am 24. August mit der Ausbildung bei uns anfangen", sagt sie. "Viele haben mehrere Eisen im Feuer, da spielt auch schon die Höhe der Ausbildungsvergütung eine Rolle." Vor zwei Jahren sei das noch nicht so gewesen. "Wir merken es dieses Jahr ganz extrem: Es sind viele freie Stellen und wenig geeignete Bewerber", so die erfahrene Ausbilderin. Vor allem in den Bereichen Elektrotechnik und Metallbearbeitung spiegele sich das wider.
 
Das scheint unter anderem das junge Unternehmen Stahlbau Brehna zu bestätigen. 100 Bewerbungen lagen im vergangenen Ausbildungsjahr vor, sagt Gabi Klering, die dort für die Azubis zuständig ist. In diesem Jahr hat sich noch kein einziger Absolvent gemeldet, der sich als Stahlbauer ausbilden lassen will. "Wir lassen es dann dieses Jahr auch dabei", sagt sie. "Wer bisher noch nichts unternommen hat, der will eigentlich auch nicht so richtig."
 
In der Landkreisverwaltung Anhalt-Bitterfeld können sich die Bewerbungen für Verwaltungsfachangestellte sehen lassen. 2001 bewarben sich auf fünf Stellen 167 junge Leute, informiert Pressesprecherin Marina Jank. Die Auswahl unter den Bewerbern sei ausreichend. Dies hänge unter anderem mit dem Berufsstand "öffentlicher Dienst" zusammen, der in den neuen Bundesländern einen hohen Stellenwert habe, erläutert sie.
 
Zwei Azubis - eine künftige Bürokauffrau und einen künftigen Mechatroniker - stellt die VKK Standardkessel Köthen GmbH in diesem Jahr ein. Nach Auskunft von Anke Kurze, Mitarbeiterin der Personalabteilung, sollte es noch einer mehr sein, "der hat aber nicht unsere Anforderungen erfüllt". Diese Lehrstelle werde nun auf das nächste Ausbildungsjahr verschoben. Generell, so Anke Kurze, sei im Vergleich zu den Vorjahren ein Rückgang an Bewerbern festzustellen. Die Qualität der Bewerber lasse mitunter zu wünschen übrig. "Das betrifft die schulischen Leistungen ebenso wie die Einstellung der jungen Leute", sagt sie. So seien zehn Bewerberinnen für den Beruf Bürokauffrau zum Vorstellungsgespräch eingeladen gewesen, zwei aber nur gekommen. "Die anderen hielten es nicht mal für nötig, den Termin abzusagen". Mangelnde schulische Qualifikation und mangelnden Leistungswillen bei den Bewerbern - das beklagt Christine Lahne, Geschäftsführerin der Köthener Fleisch- und Wurstwaren GmbH. Die Firma stellt aus diesem Grund dieses Jahr weniger Azubis ein. "Bei den Verkäuferinnen sind es drei, sonst hatten wir immer fünf. Und für die Produktion haben wir jetzt überhaupt keinen Azubi. Sonst waren es immer ein oder zwei", schildert sie. Die Bewerber werden zu einem Praktikum eingeladen, wo sich quasi die Spreu vom Weizen trennt. "In der Produktion haben wir es mit Kälte, teils schwerer körperlicher Arbeit und Nachtarbeit zu tun, es ist halt ein Handwerk. Doch vielen jungen Leuten fehlt dafür das Interesse." Christine Lahne macht sich Sorgen um die Zukunft. "Wir wollen weiter bestehen. Mit Hilfskräften allein können wir das nicht schaffen."